Neuer Hype: 1,25 Mio. € für eine Taube – Was macht „Ratten der Lüfte“ so teuer?
Neuer Hype: 1,25 Mio. € für eine Taube – Was macht „Ratten der Lüfte“ so teuer?
Viele hassen Tauben als „Ratten der Lüfte“. Brieftaubenzucht gilt als aussterbendes Hobby – nicht mehr zeitgemäß. Doch seit Renntaube „Armando“ für irre 1,25 Mio Euro nach China verkauft wurde, werden auch die treuen Anhänger des Taubensports im Rheinland weniger belächelt.
Das spürt und freut auch Hardy Krüger (43), den wir in seinem Taubenschlag in Rommerskirchen besuchten.
Das schlechte Image der Taube ärgert ihn. „Meine Tiere werden ärztlich überwacht, es gibt Kot-Abstriche, Doping-Tests, nur ganz gesunde Tiere können Leistung abrufen und kriegen starke Junge“, erklärt Krüger.
Er steht über Handy und PC in ständigem Kontakt zur Taubenfan-Szene 2.0. 5000 Facebook-Freunde schicken „Likes“, wenn Schützlinge aus der Zucht in seinem Garten irgendwo auf der Welt erfolgreich fliegen.
Brieftauben als Statussymbol
Auch die beiden Chinesen, die sich im Endspurt der Online-Auktion die Bieterschlacht um die Rekord-Taube „Armando“ lieferten, kennt Krüger persönlich.
Beide zählen zu den reichsten Männern des Landes, meint er. Dort lockt viel Geld, und es gibt schon neue Probleme – mit dem Zoll, Doping, Betrügern. 2018 wurden zwei chinesische Schlagbesitzer zu drei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt, weil sie Tiere mit einem Hochgeschwindigkeitszug ins Ziel brachten und so taten, als wären sie die Strecke geflogen.
Hintergründe zum China-Hype
Tauben sind im Reich der Mitte neben Designerklamotten und Ferraris zum Status-Symbol geworden. Und, wie Rennpferde, zur Geldanlage mit Lizenz zum Zocken. „In China gibt es keine Wettbüros, aber wenn auf Tauben gewettet wird, drückt man offenbar ein Auge zu“, sagt Krüger.
Er ist aufgewachsen mit Hund, Katze – und den gurrenden Haustieren. Als 16-Jähriger wurde er mit dem Vater auf Anhieb Deutscher Meister. Heute quillt das Wohnzimmer über von Pokalen und Postern hochdekorierter Vögel. Krüger, im Hauptberuf Elektroniker, misst sich in seiner Freizeit stolz mit belgischen und holländischen Profi-Züchtern.
Für seinen „Black Pearl“, Olympiavogel von 2011, Sohn von „Black Power“, der mit seinen 19 Jahren im Altenheim-Abschnitt der Voliere die Gnadenkörner pickt, hat ihm einer seiner chinesischen Gäste auch schon eine sechsstellige Summe geboten, verrät er.
2000 Meter pro Minute schnell
Das Video einer Versteigerung im Irak wurde 10 Millionen Mal aufgerufen. Dieses Feedback, und die Leistung seiner Vögel in der Luft fasziniert. So ein Super-Flieger wie „Black Pearl“ schafft es, bei starkem Rückenwind über 2000 Meter pro Minute (!) schnell zu fliegen.
In einer wildfremden Gegend ausgesetzt, findet er auf direktem Weg zurück in den Heimatschlag. Die 450 Kilometer-Strecke aus Paris bewältigt das Tier in 4 1/2 bis 5 Stunden.
Jedes Küken ist eine neue Wette auf die Zukunft. Man weiß nie, ob zwei Top-Renntauben tatsächlich auch den schnellsten Nachwuchs zustande bringen. „Es ist ein Hobby, bei dem man über Facebook, Internet, die Community auch für den Kopf was tut“, sagt Krüger.
Fürs Herz und Stress-Abbau sorgen seine edlen Tiere. Der selbst gezimmerte Stall steht zwischen alten Obstbäumen und Koi-Teich. Schlanke Tauben mit glänzendem silber- bis anthrazitgrauem Gefieder gurren wie ein Orchester.
Viel Arbeit und hartes „Training“
Uns Zweibeiner taxieren sie mit wachen Augen. Die Weibchen brüten in Tonschalen-Nestern je zwei Eier aus. Nach 18 Tagen schlüpfen die Küken, nach zwei Wochen fliegen sie erstmals los, vorsichtig von Dach zu Dach – und wagen sich dann immer weiter raus.
Morgens um 6 Uhr geht Krüger in den Stall, öffnet die Klappe, und ein Schwarm Vögel steigt auf. Eine Stunde „trainieren“, also fliegen, dann gibt’s Futter. Das Müsli mit getrocknetem Mais, Linsen, Erbsen steht 20 Minuten im Stall, dort bleiben auch die Vögel.
Abends um 18 Uhr dasselbe Spiel. Ein Mal pro Tag kratzt der Züchter den Holzboden ab. Die Umgebung darf nicht zu eng sein, nicht zu steril und stickig. „Die guten Tauben sind auch schlau“, sagt der Züchter.
„Wenn eine Taube Top-Leistung bringen soll, muss sie sich wohlfühlen – und ich mich auch.“
So orientieren sich Brieftauben
Die einzigartige Fähigkeit der Brieftauben zur Langstrecken-Navigation – gleich wo man sie aussetzt, sie finden auch über Hunderte von Kilometern wieder zurück nach Hause – ist ein Wunder der Natur – und bis heute rätselhaft.
Die Luftboten nutzen Sonne, Sterne und wohl sogar Autobahnen, um den kürzesten Weg zu finden. Wie bei Zugvögeln spielt das Erdmagnetfeld eine große Rolle. Lange Zeit glaubte man, die Sensoren hierfür säßen in eisenhaltigen Nervenzellen im Schnabel.
Jetzt fanden Forscher heraus, dass diese Zellen der Immunabwehr dienen. Der Magnetfeld-Rezeptor sitzt vermutlich im Innenohr. Derselbe Sensor registriert auch Infraschallwellen, verursacht durch Luftdruckunterschiede, Wind und die Oberflächenspannung der Erde.
Je näher Brieftauben dem Heimatschlag kommen, desto eher fliegen sie entlang bekannter Flüsse, Berge, Bahnstrecken oder großer Straßen, sogenannter Landmarken.
Einige Wissenschaftler vermuten, dass auch Gerüche die Vögel gen Heimat ziehen. Dabei wählen sie instinktiv den direktesten Weg, um möglichst energiesparend zu fliegen.
Warum kein Weltkulturerbe?
Tierschützer waren erfreut, Taubenzüchter enttäuscht und traurig, als die Deutsche UNESCO-Kommission im Dezember entschied, das deutsche Brieftaubenwesen nicht in die bundesweite Liste des immateriellen Weltkulturerbes aufzunehmen – wohl auch, weil sich in der Bewerbung die Tierschutz-Kontroverse nicht widerspiegelte.
„Das primäre Ziel unseres Hobbys ist es, das jahrtausendealte Wissen über die Brieftauben zu erhalten und weiterzugeben“, wehrte sich der Verband der Deutschen Brieftaubenzüchter mit Sitz in Essen gegen Tierschutz-Kritik an der Überforderung der Tiere bei Rennen.
Bevor Brieftauben als „Rennpferde des kleinen Mannes“ zum Inbegriff des Ruhrpott-Hobbys wurden, nutzten Menschen sie, um Nachrichten zu übermitteln, bis zu 100.000 Brieftauben wurden allein im Ersten Weltkrieg eingesetzt.
Quelle: Berliner Kurier, Sieglinde Neumann