Birmingham Roller – Flugrasse des Jahres 2023 im VDT verbunden mit dem Herbert-Köhnemann-Gedächtnis-Preis auf 20er Kit- und 3er Stichflug
Der Birmingham Roller (BR) wie wir ihn heute kennen hat seinen Ursprung in den Kohlerevieren um Birmingham. William H. Pensom ist in diesem Zusammenhang besonders zu erwähnen. Man kann davon ausgehen, dass die heutige Zuchtform seiner Pionierarbeit zu verdanken ist.
Der BR hat optisch ein eher unscheinbares Auftreten, da das Augenmerk bei der Zucht maßgeblich auf dessen Flugverhalten und vor allen Dingen auf der Rollleistung liegt. Er ist eine kleine bis knapp mittelgroße Taube. Der Schnabel, der Hals und auch die Beine sind allesamt mittellang. Der Kopf ist abgerundet und glatt. Die Flügel liegen auf dem Schwanz auf, der aus 12 Federn besteht. Eine Bürzeldrüse ist vorhanden, was ihn zu einem guten Schlechtwetterflieger macht. Der BR kommt in fast allen erdenklichen Farben vor. Wie alle Rassen, die nicht auf Optik, sondern auf Leistung gezüchtet werden, zeigt auch der BR ein sehr gutes Zuchtverhalten. Im Schlag ist er eine ruhige ausgeglichene Taube, die sehr schnell Vertrauen zu ihrem Züchter aufbaut. Im Flug weist er eine sehr gute Orientierung auf.
Was aber macht diese Taube so besonders? Wie der Name schon sagt, beherrscht der BR das sogenannte Abrollen während des Fluges. Als Rolle bezeichnet man eine Flugfigur, die aus einer Überschlagfolge besteht, bei der der einzelne Rückwärtsüberschlag mit bloßem Auge nicht mehr zu erkennen ist. In Zeitlupenaufnahmen wurden bei einem solchen Rollvorgang schon mehr als 15 Einzelüberschläge belegt. Keine andere Taube ist in der Lage diese Rolle in einer solchen Geschwindigkeit, Tiefe und Präzision zu vollführen wie der BR um anschließend bei voller Koordination den Flug wieder aufzunehmen. Wenn bei Spitzentieren nach der Landung auf der Linie des Brustbeins für kurze Zeit das Gefieder geteilt ist, kann man sich vorstellen, was bei einem solchen Rollvorgang für Kräfte wirken. Auch wenn bei Nieselregen 20 Tauben mit feuchtem Gefieder wie auf ein unsichtbares Kommando alle gleichzeitig „hörbar“ rückwärts abrollen, wirkt dieses faszinierende Flugspiel und die daraus resultierende Geräuschkulisse noch lange nach.
Nun zu den Leistungsansprüchen, die in Deutschland an den BR gestellt werden. Hierzulande sind zwei Wertungsordnungen (WO) anerkannt.
Beginnen möchte ich mit der englischen WO nach der der BR einheitlich auf der ganzen Welt geflogen und beurteilt wird, dem sogenannten Kit-Flug. Hierbei werden die Tauben im Schwarm (Kit) von 15 – 20 Tauben vom Heimatschlag gestartet. Da der BR ein Trupp-Flieger ist, sollten die Tauben im engen Verbund (Kit) zusammenfliegen. Um das synchrone Abrollen zu fördern, werden die Tauben erst dann gewertet, wenn mindestens 5 Tiere gleichzeitig rollen. Hierbei wird angestrebt, dass sich alle 20 BR wie auf ein Kommando gemeinsam Rückwärts fallen lassen, was natürlich ein beeindruckendes Flugspiel darstellt. Außerdem werden noch die Rolltiefe und -qualität bewertet und damit alle wichtigen Rasseeigenschaften gefördert.
Die zweite WO nach der der BR in Deutschland geflogen wird, ist in Europa (außer in England) weit verbreitet. Hierbei werden 3 Tauben gestartet und jeder gültige Rollvorgang (eine nicht mehr zählbare Überschlagfolge) gewertet und mittels Handzähler registriert, unabhängig davon, ob die Rolle im Team oder als Einzelleistung erfolgt ist. Dabei kommt es natürlich nicht zu solch spektakulären Rollexplosionen wie bei der englischen WO.
Trotzdem haben beide Wertungsordnungen ihre Vor- und Nachteile. Die Wertung im 20er-Kit entspricht kompromisslos dem Zuchtziel des Mutterlandes, die Wertung im 3er-Stich erfordert dagegen etwas weniger Trainingsaufwand, eine nicht ganz so strenge Selektion, somit auch einen kleineren Zuchtstamm und der Greifvogeldruck fällt auch nicht ganz so stark ins Gewicht. Zudem ist es in dieser Variante möglich aus einem transportablen Kleinstschlag (Flugkasten) zu fliegen. Aus diesen Gründen ist die Wertung mit 3 Tauben in Deutschland auch weiterverbreitet als der Kit-Flug.
Unabhängig davon in welcher Wertungsordnung man die BR fliegt, der BR wurde aufgrund seiner Leistungsfähigkeit und weltweiten Verbreitung verdient zur Flugrasse des Jahres 2023 im VDT gekürt. So kommen in diesem Jahr einmalig zwei Champion Pokale zur Vergabe, um sowohl den 20er Kitflug als auch den 3er Stichflug Rechnung zu tragen. Die Flugbetreibenden Vereine im VDT kürten aufgrund seiner langjährigen Verdienste um den BR in beiden Ausprägungen, sowie vielfältigen ehrenamtlichen Engagements um die Taubenzucht incl. der aktiven Flugtaubenzucht mit internationalen Kontakten, Herbert Köhnemann einstimmig zum Gedächtnis-Preis-Namensgeber 2023.
Herbert Köhnemann wurde im April 1920 in Unna NRW geboren. Der Haushalt bestand neben seiner Schwester, seinen Eltern und Großeltern aus 6 Personen. Ebenfalls auf dem Grundstück befanden sich Hühner der Rasse Blausperber und Ziegen. Sein Vater war auch in der Zucht der Deutschen weißen Edelziege erfolgreich. Er ging zur Volksschule in Unna-Massen und später ins Gymnasium nach Unna. 1939 wurde er dann zur Wehrmacht eingezogen, die ihn bis nach Russland führte, wo er in Gefangenschaft geriet und erst 1949 wieder nach Hause, nach Unna-Massen, zurückkehren konnte.
Da wartete seine Frau mit den beiden Kindern, die er 1942 geheiratet hatte. Seine erste Aufgabe war dann der Bau des Eigenheims, weil die Familie nach und nach auf sieben Personen angewachsen war. Wie zu der Zeit üblich stand auf dem Grundstück auch ein Stall, in dem Hühner der Rasse Barnefelder und Kaninchen, die für die in der Küche benötigten Eier und ab und zu einen Braten sorgten. 1950 trat er in den GZV Massen ein. Etwas später wurde das Stalldach für die Zucht von Rassetauben ausgebaut.
Es begann mit Rassen, die auch gut in der Küche verarbeitet werden konnten, führte aber schnell zu Persischen Rollern, damals eine extravagante, noch relativ unbekannte Rollertaubenrasse, die er über den Kontakt zu Dr. Werner Lüthgen (WL) kennenlernte. Da begeisterte er sich für die Flugeigenschaften, die ihm neben der Ausstellung große Freude machte und damals mit den Persern noch möglich waren. Seine Perser flogen noch knapp eine Stunde mit entsprechender Rollerleistung. Mit WL an der Spitze sammelten sie dann in ganz Europa die aktiven Perserzüchter zusammen und gründeten mit diesem Fundament 1961 den Sonderverein. HK übernahm dabei das Amt des Schriftführers und sorgte durch die regelmäßige Veröffentlichung von Fachartikeln und Orga-Nachrichten für die Akzeptanz und den Aufstieg des Persischen Rollers in der Züchtergunst.
Über seine öffentlichen Bekundungen zum Flugtaubensport mit Rollertauben lernte er dann den Züchter Orientalischer Roller, Hermann Brieler aus Hamm/NRW, kennen, der ebenfalls in seiner Zucht gleichermaßen auf „Schönheit und Leistung“ setzte und dabei sehr erfolgreich war.
Dieses Prinzip war aber nicht mehr lange haltbar. Der Vorsprung, den die reinen Ausstellungszüchter mit ihren Tieren jährlich auf den Ausstellungen erreichten, wurde immer größer, so dass die Leistungstauben nicht mehr konkurrenzfähig waren. HK entschloss sich dann zur Zucht einer Rasse, für die es beim BDRG noch keinen Standard, also keine Ausstellungs Konkurrenz gab. Da kam der damals in Züchterkreisen noch wenig bekannte Birmingham Roller (BR) ins Spiel. Eine kleine fast unscheinbare Taube, der aber enorme Leistung in der Luft/am Himmel, nachgesagt wurde.
Es begann Anfang der 1960er mit zwei Paaren aus Deutscher Zucht, die dann die Grundlage für eine rein auf Flug- und Rollerleistung basierte Zucht bildeten. Der Stamm wuchs kontinuierlich, so dass nach einigen Jahren schon Stiche von über 30 Tauben am Himmel nicht nur den Züchter, sondern auch bei staunende Passanten für Begeisterung sorgten.
Auch dieses Bild verbreitete HK mit Fachartikeln in der Züchterwelt, und jetzt auch, dank seiner sehr guten Fremdsprachen Kenntnisse, Englisch in Wort und Schrift, sowie Französisch und Russisch in Wort, weltweit. Er erkannte schnell, dass die besten BR in England und Amerika gezüchtet wurden, und nahm dann Kontakt zu diesen auf. Reger, fachlich sehr fundierter Schriftverkehr entwickelte sich zu dem BR Züchter Bil Penson in den USA. Von ihm importierte er Mitte der 1960er Jahre einige Paare BR im Tausch gegen Thüringer Schwalben und Elsterkröpfer aus Deutschen Zuchten. Die Nachzucht der Amerikanischen Tauben sorgte für einen beachtlichen Leistungssprung in seiner Zucht. Davon profitierten auch andere Rollertaubenfreunde, ein Großteil der Nachzucht wechselte in deren Schläge.
Die gute Öffentlichkeitsarbeit und auch der Amerikaimport steigerten das Interesse bei den Rollertaubenfreunden und führte zur Gründung des -Deutschen Flugroller Club-, kurz DFC genannt. HK fungierte zu Anfang als 1. Vorsitzender. Im Jahr 1967 erfolgte unter seiner Federführung die Erarbeitung der ersten -Flugordnung für Rollertauben-, mit Berücksichtigung des unterschiedlichen Flugverhaltens von Birmingham Rollern einerseits und Orientalischen- / Persischen Rollern andererseits.
Durchgeführt wurden nun auch vom DFC öffentliche Flugabnahmen, bei denen jeder Interessierte zuschauen konnte. Zur Steigerung der Attraktivität starteten dazu erste Rollertauben aus dem Flugkasten. Der Zuchtfreund Kornfeld aus Mühlheim war in Deutschland der Erste, dem dies gelang. Für die Anwesenden eine nicht für möglich gehaltene Sensation.
Ende der 1960er Jahre war die Mitgliederzahl im DFC schon über 60 angestiegen, alle Zeichen deuteten auf eine positive Weiterentwicklung hin, da beschloss HK, sich aus der ersten Reihe zurück zu ziehen. Er war schon seit Anfang der 1960er Jahre in der Gemeinde politisch tätig und sah darin seine zukünftige Aufgabe.
Rollertauben bevölkerten noch viele Jahre seine Schläge, aber nur noch zu seiner Freude. Herbert Köhnemann verstarb nach langer schwerer Krankheit 1994 mit 74 Jahren in seinem Heimatort in Unna-Massen. Wie es in der Familie Köhnemann bezogen auf die Zucht von Rassetauben weiterging, ist sicher allen Interessierten bekannt.
Abschließend möchte ich mich bei der Familie Köhnemann für die Infos und die Unterstützung bei der Zusammenstellung des züchterischen Werdegangs, ohne die es nicht möglich gewesen wäre, bedanken.
Erstellt von:
Johannes Reiberg (Ehrenvorsitzender DHC, vormaliger Flugkoordinator im VDT, für den züchterischen Werdegang von Herbert Köhnemann)
Peter Ritz (Vorsitzender des German Birmingham Roller Club, für die Rassebeschreibung Birmingham Roller)
in Zusammenarbeit mit
Martin Prebeck Flugkoordinator im VDT