Wiener Gansel in der Schausaison 2024/25 – HSS Leipzig und VDT-Schau Erfurt
In seinem vielbeachteten Werk „Die Wiener Tümmler“, erschienen im Verlag Dr. Paul Trübenbach/Chemnitz im Jahr 1926, klassifiziert Franz Panek die Wiener Tümmler in hochstirnige Kurzschnäbel und flachstirnige Mittelschnäbel. Erstere, zu denen er auch die Wiener Gansel zählt, bezeichnet er durch ihren scharf markierten Würfelkopf mit dem kurzen, dicken Schnabel als „Kopf- und Schnabeltauben“.

Auch heute steht bei dieser fast kurzschnäbligen Tümmler-Rasse der Kopf und Schnabel nach dem Gesamteindruck ganz vorn in der Bewertungsreihenfolge. Die Zuchttierbestandserfassung des BDRG zählte 2023 lediglich 20 Zuchten (10 schwarz, 2 rot, 2 gelb, 6 blau) mit insgesamt 96 Zuchtpaaren, sodass die Wiener Gansel aufgrund ihrer Herausforderungen in der Zucht und in der Ausstellung zu den Seltenheiten im VDT zählen. Als Hilfestellung für Züchter und Preisrichter stellt der SV gerne die illustrierte Bewertungshilfe gegen einen Obolus zur Verfügung.

Hier werden die Hauptrassemerkmale sowie aktuelle Zucht- und Bewertungsschwerpunkte der Wiener Gansel detailliert erläutert. Die HSS der Wiener Gansel war in dieser Schausaison der 128. Lipsia-Bundesschau in Leipzig angeschlossen. Zu diesem Anlass warb das neue SV-Rollup erstmals zur Besichtigung der Wiener Gansel-Kollektion: Vor dem Hintergrund des historischen Taubenhauses im Schlosspark Schönbrunn sind Idealdarstellungen aller anerkannten Farbenschläge der Wiener Gansel zu sehen. Das barocke Taubenhaus wurde Mitte des 18. Jahrhunderts im Auftrag von Kaiserin Maria Theresia errichtet und 2009/2010 durch die Schloss Schönbrunn Kultur- und Betriebsgesellschaft aufwändig restauriert. Es beherbergt bis heute Wiener Tauben. Zur HSS präsentierte in dieser Saison leider nur ein Aussteller seine Gansel, dafür aber immerhin 20 Tiere in vier verschiedenen Farbenschlägen, vor dem Hintergrund der Anforderungen des Rassestandards und Schauvorbereitung im Sinne des notwendigen Putzens der Ganselzeichnung, eine beachtliche Leistung. Die zuchtstandbezogene Bewertung übernahm „Gansel-Experte“ PR Lutz Witte (PV Sachsen-Anhalt) vielen Dank dafür! Der Reigen wurde durch die 2,2 schwarzen Wiener Gansel eröffnet (sg 95: Werner Rose), welche im geforderten waagerechten und tiefen Stand, Würfelkopf, Schnabelstärke und -einbau sowie Brustfülle überzeugten. Wünsche bezogen sich auf die Zeichnung (hier sollten teilweise der Nackenschnitt tiefer angesetzt und Latz länger sein) und mehr Rückendeckung sowie auch intensiver rot gefärbte Augenränder. Ein zu heller Augenrand führte bei der 0,1 alt auch zu einem Eintrag in die Mängelspalte. Intensive, feurig rote Ränder (Masken) – der Standard spricht von „lebhaft rot“ – sind ein wichtiges Rassemerkmal der Wiener Gansel, das dem Betrachter sofort ins Auge fällt. Ein Patentrezept hierfür gibt es nicht: Neben der genetischen Veranlagung können auch Fütterung, Sonneneinstrahlung oder Bewegungsmöglichkeiten der Tiere sowie die aktuelle Kondition einen Beitrag zum Randfeuer leisten. 1,1 rote Gansel vertraten diesen Farbenschlag. Auf straffe Rückendeckung, stumpfen Schnabelabschluss und satte Schwanzfarben ohne Blautöne ist weiterhin zu achten. Die 0,1 zeigte zum Zeitpunkt der Bewertung leider nur 11 Schwanzfedern.



Zehn blaue Tiere (5,5; hv: Werner Rose) bildeten die größte Kollektion der HSS, die überwiegend in kompakter Figur, tiefem Stand und sehr guten Würfelköpfen punkten konnten. Dennoch sollte weiterhin auf eine breite, steile Stirn mit geradem Verlauf, waagerechtem Schnabeleinbau, feurige Masken, stumpferen Schnabelabschluss und eine reinere Rückenherzzeichnung hingearbeitet werden. Als Mängel wurden vermerkt: zu kurzer Latz, senkender Schnabeleinbau und heller Augenrand. Obwohl bei der Bewertung keine Messungen erfolgen, kann eine Mindestlatzlänge von 3 cm als Orientierung für die Note sehr gut dienen, wobei idealerweise der weiße Latz am Vorderhals bei breiter Ausformung bis zur Kropfmitte reicht. Der Schnabel sollte möglichst waagerecht eingesteckt sowie dick und kolbig sein (d.h. Ober- und Unterschnabel ungefähr gleich stark, breit an der Basis, an der Spitze zusammenschließend, stumpfer Abschluss). Im Hinblick auf eine problemlose Futteraufnahme und ausreichende Nachzucht dürfen die Schnäbel nicht zu kurz werden – aus Sicht des Sondervereins erscheint eine Schnabellänge (Schnabelwinkel bis Schnabelspitze) von bis zu 1 cm im Toleranzbereich, um Übertypisierungen im Sinne zu kurzer Schnäbel zu vermeiden.

Zum Abschluss wurden 4 Wiener Gansel in blau-gehämmert gezeigt, die den Zuchtstand dieses sehr seltenen Farbenschlages nachwiesen. In Vorzügen und Wünschen entsprachen sie im Wesentlichen den blauen, was der engen züchterischen Verknüpfung der beiden Farbenschläge geschuldet ist.

An der VDT-Schau in Erfurt nahmen zwei Gansel-Freunde mit ihren Tieren teil und stellten insgesamt 25 Tiere in drei Farbenschlägen aus. Bei der Bewertung dieser seltenen Rasse zeigte PR Dietmar Kling (PV Kurhessen) viel Rassekenntnis und Fingerspitzengefühl – auch ihm gebührt unser Dank! Die 16 schwarzen Wiener Gansel (9,7) präsentierten sich in einem hohen Zuchtstand (hv: Reinhold Schulz, 2x sg 95: Lutz Witte) und überzeugten überwiegend mit kompakten Typen, prima Würfelköpfen, kolbigen Schnäbeln und der geforderten Ganselzeichnung. Die herausgestellten Tiere bestachen darüber hinaus durch breite, feurige Masken und einer typischen Halsform, d.h. kurz, kräftig aus den Schultern kommend und sich zum Kopf hin verjüngend. Unerwünscht sind zum Zeitpunkt der Bewertung eingezogene Hälse oder eine zu starke Nackenausprägung (Rosshals).

Teilweise sollten der Schnabeleinbau gehobener, die Augenränder ausdrucksvoller, der Nackenabgang edler, die Übergänge zwischen Stirn bzw. Hinterkopf und Scheitel kantiger, die Hinterpartien kürzer sowie die Feder insgesamt straffer sein – Wünsche, die uns auch in der Vergangenheit schon oft beschäftigten. Zwei schwarze Gansel zeigten lockeres Gefieder am Vorderhals – in diesem Kontext sollten auch die Fütterungstechnik (geeignete Futtertröge?) und die Schauvorbereitung (zu intensives Putzen?) kritisch überprüft werden. Bei einem Tier führte der Ansatz zu Stülpflügeln zu einem Eintrag in die Mängelspalte. Der Standard definiert diese im Abschnitt Fachausdrücke als nach oben gerichtete, aufgestülpte und deshalb den Rücken nicht abdeckende Innenfahnen einiger Armschwingen – ein häufiges Problem gerade bei vielen kleineren Tümmler-Rassen, das permanent im Auge behalten werden sollte. Der gut abgedeckte Rücken des Wiener Gansels ist u.a. – neben evidenten Differenzen im Typ und Kopf – ein augenfälliger Unterschied zum geganselten Prager Tümmler, bei dem der Standard folgendes aussagt: „Die inneren Handschwingen heben sich leicht nach oben ab, sie bilden das sogenannte Schildchen, dadurch ist der Rücken nicht ganz abgedeckt.“


Die sechs roten (3,3; v, sg 95: Reinhold Schulz) und drei gelben Wiener Gansel (1,2; sg 95: Reinhold Schulz) aus einer Zucht vertraten diese Farbenschläge ausgesprochen würdig. Der mit vorzüglich und Grünem Band von Erfurt prämierte Alttäuber war ein absolutes Sahnestück und stellte das Beste des derzeit züchterisch Erreichbaren in diesem Farbenschlag dar. Beeindruckend das Randfeuer bei einem Tier aus 2023, das auch einem Jungtier zur Ehre gereicht hätte. Gleichsam waren die gewünschten tiefen, breiten Lätze in beiden Farbenschlägen wie schon im Vorjahr zu bewundern. Wünsche bezogen sich auf abgestimmtere Hinterpartien, noch kantigere Stirn-Scheitel-Übergänge, mehr Halsadel, vollere Brust, strafferes Gefieder und eine vollere Zeichnung im Rückenherz. Kontinuierliche Beachtung in der Züchterwerkstatt muss im roten und gelben Farbenschlag der geforderte tiefe Stand auf kurzen, kräftigen Läufen verbunden mit von außen nicht sichtbaren Sprunggelenken/Intertarsalgelenken finden. Auch bei den roten Ganseln musste einmal die Note „g“ aufgrund mangelhafter Rückendeckung vergeben werden.


Die Hauptsonderschau 2025 des Sondervereins der Züchter Wiener Gansel e.V. wird im Dezember der Lipsia-Bundesschau und VDT-Schau in Leipzig angeschlossen sein. Alle Züchter der Wiener Gansel sind zur Teilnahme herzlich eingeladen, ebenso wie zur Tierbesprechung an den Käfigen am Ausstellungssonntag um 10 Uhr. Als weiteres Highlight könnte die rassebezogene Europaschau der Wiener und Budapester Taubenrassen im Terminplaner der interessierten Züchter und Liebhaber von Wiener Gansel vorgemerkt werden. Diese findet ebenfalls im Dezember 2025 in Straßkirchen statt. Entscheidend für eine zusätzliche Beteiligung des SV der Züchter Wiener Gansel Hamburg e.V. als angeschlossene Sonderschau in Straßkirchen sollte die voraussichtliche Erreichung einer angemessenen Anzahl von ausgestellten Wiener Gansel sein. Bei Fragen zur Sonderschau, zu den Wiener Ganseln oder Interesse an Zuchttieren stehen die Mitglieder des SV gerne zur Verfügung (Kontakt: Werner Rose, Lerchenweg 2, 21755 Hechthausen, Telefon 04774 1330, E-Mail: gruenes-haus@online.de). Zuchtfreund Werner Rose würde bei Bedarf und Anfrage auch einen Ausdruck der eingangs erwähnten Bewertungshilfe an interessierte Zuchtfreunde abgeben.
Prof. Dr. Markus Freick, Werner Rose, Jürgen Haufschildt

der Wiener Gansel in der BDRG-Zuchttierbestandserfassung (2017-2023)

an den HSS bzw. VDT-Schauen der letzten Jahre (*abgesagte Schauen)