Erich Müller
Erich Müller – (21.05.1933 bis 01. 10.2006)
Erinnerungen anlässlich seines 85. Geburtstages an
Erich Müller und das 1. VDT-Meeting 1988 -. haben wir daraus unsere Lehren gezogen ?
Das 1. VDT-Meeting vor 30 Jahren Initiiert und organisiert vom damaligen VDT-Vorsitzenden, der populären und auch durch seine Körpergröße auffallend in Erscheinung tretenden Taubenzüchterlegende: Erich Müller, fand turnusgemäß seine 10. Fortsetzung 2015 in Berlin statt. Ein zur Tradition gewordenes und kluges Ritual, das bei jeweiliger Themenwahl sehr wohl die Verbandsarbeit stärkt – ein Manifest, das sich im Selbstbewusstsein stabilisierend verfestigt.
Rückblick
Nach der Wahl 1980 des Frankfurters, den im Oberbayerischem lebenden „King-Müller“ zum 1. Vorsitzenden, waren einige Jahre ins Land gezogen, in denen recht deutlich spürbar ein „frischer Wind“ in der Rassetauben-Szene wehte. Es begann eine Umstrukturierung der Verbandsarbeit, folgte ein regelrechtes Management differenziert in der Zuständigkeit von Vorstandsfunktionen.
Erich Müller, mehrfacher Autor guter Taubenbücher, wirtschaftlich autark und fernstehend von fanatisch überlagerten Ansprüchen, vor allem frei von überheblichen Ambitionen ist er es gewesen, der als Kenner der Szene die aufblühende Entwicklung unserer Taubenrassen mit Argusaugen betrachtete. Ja, sie sensibel analysierte und es ihm ein diszipliniertes Anliegen war, die Geschlechtstypen bei allen Taubenrassen feminin und maskulin unterscheidbar zu belassen, vor übertriebenen Zuchtzielen warnte, die Zuchtpraxis gar mit gewissem Misstrauen beäugte, wo er immerhin das biologisch Machbare als Bedrohung empfand. Er scheute sich nicht, mit Wort und Schrift aufklärend dagegen vorzugehen. Prägnant und in eindringenden Passagen formuliert, dafür die Fachpresse einspannte.
Seinen fundierten, mit Wissen munitionierten Gedanken ließ er freien Lauf. So vorbereitend auf dieses Meeting u.a. in Beiträgen mit den Überschriften: „Verantwortungsbewusstes Züchten“, und „Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft, eine Bilanz über die Entwicklung der Rassetaubenzucht“ hinzuweisen. Und gab dabei über das Maß der Feinsinnigkeit hinweg zu bedenken,: „Vorweg sei auch noch bemerkt, Rassetauben dürfen nicht als Mittel zum Zweck persönlicher Selbstbestätigung gezüchtet werden, sondern ganz schlicht und einfach ihrer selbst willen“. Mahnende Hinweise, die fundamental wertvoll erschienen, sie erwähnend in den chronologischen Aufzeichnungen der ersten Auflage (1995) in „Die Geschichte der Rassetaubenzucht in Deutschland“ zu dokumentieren. Man darf unterstellen, dass sie in der fortgeschriebenen 2. Auflage den Lesern bewusst vorenthalten worden sind!
Das 1. VDT-Meeting
Ob seiner in vielen Gehirnen schwirrenden Notwendigkeit waren damals, vor nunmehr drei Jahrzehnten, alle dem VDT angehörenden SV-Vorsitzenden samt eines Begleiters in das idyllische Oberbayern eingeladen, dort sachbezogen über die aktuelle Verbandsarbeit zu diskutieren und unter Einbeziehungen der Zukunftsorientierung zu beraten. Das über zwei Tage am Wochenende des 3./4. Juni 1988 reichende Treffen war ein voller Erfolg – wenn man so will: ein Markstein in der sich damals dynamisch weiterentwickelnden Historie des größten Rassetaubenzuchtverbandes der Welt!
Im Nachhinein würde ich dieser Veranstaltung den Untertitel: „Weichen stellen – Zukunft sichern – ein Appell an die Vernunft“ hinzufügen. Denn: Das war der eigentliche Tenor dieses ausdrücklich propagierten nichtöffentlichen Forums, das von den damaligen, heute noch lebenden Teilnehmern in deren Erinnerung wahrgenommen als das epochale Ereignis verblieben ist! Da ging es kultisch nicht um Personen, sondern um eine, für uns: die wichtigste Nebensache der Welt – die Rassetaubenzucht mit allen ihren Begleiterscheinungen! Über den Status quo und ihre perspektivische Ausrichtung. An guten Beispielen sollte sie fest gemacht werden, absehbar heikel bis kritisch Werdendes zu beleuchten, um es im Keim zu ersticken, vermeintliche Fortschritte nicht ausufern zu lassen, war das Ziel dieser von Niveau geprägten Veranstaltung.
Dem gesamten Spektrum ein hohes Ansehen zu verleihen, stützten sich die Inhalte wissentlich auf die sowohl nach innen als auch nach außen gerichtet, Öffentlichkeitsarbeit dieser Ära in Bewegung zu bringen. Während dieser Zeit standen uns noch die Einflussnahme der Taube auf die Kultur sowie auch ihre faszinierende Exotik näher als Diplome mit Pokal, Meisterschaften oder gar Goldbarren. Da schlug sich die Begeisterung im beginnenden Aufkommen hoher Meldezahlen bei den Rassetaubenschauen nieder.
Aufschwung auf der ganzen Ebene
In diesen Zeitrahmen fiel später die Gründung des Deutschen Tauben-Museums durch Helga und Karlheinz Sollfrank, regte sich – dank genetischer Forschungsleistungen von Axel Sell das Interesse an Vererbungsvorgängen. Begann aber auch das auf Leistung und Kondition fixierte Gesundheitswesen auf dem Taubensektor zu erwachen, witterte dieser Produktenzweig eine heilwirkende Chance, sich mit ihren Erzeugnissen gewissermaßen verdient zu machen. Eine von Aufschwung gekennzeichnete Bilanz, die sich stimmungsvoll durchgehend in der Erstausgabe der VDT-Chronik (1995) sie anerkennend niederschlug.
Dialog mit der Basis
Dieses, Erich Müllers nach wie vor heute noch gültige Vermächtnis, brannte ihm – bis zu seinem plötzlichen Ableben im Jahre 2006 – geradezu glühend unter seinen Nägeln.
Er nutzte die Zustimmung der Vorstandsmitglieder und spannte das eine und andere mit ein, sich an der Durchführung in Oberbayern zu beteiligen. Organisatorisch nicht vor Ort, sondern bei der ideellen Auswertung danach. Sie fiel – durch den großartigen Erfolg begünstigt – sehr aufschlussreich aus, es wurde nachhaltig darüber gesprochen. Die Diskussionen hinter nicht vorgehaltener Hand waren ehrliche Statements. Man war ja unter sich, hörte und staunte, gab Negativerscheinungen kund und sprach von Fehlentwicklungen, sie in den Griff zu bekommen, ernsthaft angegangen werden müssen mit der Quintessenz: sich zu besinnen. Nicht in Richtung: Zurück zur Natur – wie soll das auch funktionieren, sondern die Abwendung von möglichen Merkmal-Übertreibungen einzuleiten. Die Rassetaubenhaltung in Volieren als Alternative zum Freiflug mit Komfort zu gestalten und nicht zuletzt die Forderungen nach Vitalität sehr hoch anzulegen. Grundlagen für ein gesundes Verbandswesen, das in seinem inneren Gefüge für moderne Neuerungen offen eingestellt ist, waren anvisierte Ansätze.
Referatsthemen – Diskussionsgrundlagen
Der Rassetaube als solche vorrangig im Mittelpunkt stehend, galten zehn Referate – in Blöcken von jeweils 2 Moderatoren begleitet – bei spezifischen Betrachtungen mit anschließenden Diskussionsbeteiligungen über: Örtliche und überörtliche Taubenvereinigungen, Hochflug, – Alternativen zur Volierenhaltung, Motivation der Mitglieder, Selbstdarstellung des VDT sowie seine Beurteilung aus Sicht des benachbarten Auslandes, Internationale Kontakte, Deutsche Rassetaubenschauen, Rassetaubenzüchtungen-Gegenwart und Zukunft, Mittelschnäbligkeit bei Mövchen und Tümmlern.
Rundum ein Themenbündel, das die gesamte Facettenpalette beleuchtete, wie sie – wenn überhaupt – nirgend woanders so tiefschürfend behandelt worden war. Hier kam die Verantwortung des SV-Zuchtwartes zur Sprache, die Einflussnahme der Züchter bei der Verpaarung, Schlupf und Aufzucht der Jungtiere mit den Folgen des Einsatzes von bislang nicht notwendig gewordener Ammen, der prophylaktischen Verabreichung von Stärkungsmitteln vor Schaubeteiligungen und freilich die dadurch von Unsicherheiten begleiteten Zukunftserscheinungen. Herauszuhören war das stete Verlangen nach Vitalitätsbeweisen. Die Anwesenden wirkten über diese von Freimut und Aufrichtigkeit getragene Offenheit erleichtert – wenn auch der eine und andere einer Wortmeldung mehr Glauben schenken wollte und meinte: „Appelle allein greifen nicht, was nicht verboten und im Schaukäfig nicht geahndet wird, wird wohl ohne eingeschränkte Wirkung fortgesetzt“ werden.
Im Trend des Wettbewerbsgedankens mit positiver Akzeptanz
Bei der personell gleichgebliebenen Vorstandszusammensetzung zündeten danach Ideen wie die zuweilen aufgeschobene Herausgabe einer eigenen Verbandszeitschrift, danach loderte die Flamme für die Einführung einer Verbandsmeisterschaft, forcierte der 1992 gewählte VDT-Nachfolge-Vorsitzende diese Bestrebungen und setzte sie in die Tat um. Das Konkurrieren um Meisterschaften und Trophäen nahm 1995 seinen Anfang und befindet sich aktuell noch immer im kaum zu zügelnden Höhenflug. Das ist der Wille der Züchter, der der hoffnungsvollen Aussteller – sie fühlen sich in einer wunderbaren Rolle, durchaus zufrieden gestellt. Man muss nur noch ein Quäntchen Glück haben, dann hängt der Züchterhimmel voller Geigen. Gratulation dem, der zu den Glücklichen gehört – es ist jedem zu gönnen, Fleiß muss belohnt werden. Und einmal ehrlich, das verdientermaßen neidlos!
Euphorisch unterstützt vom Verbandsblatt „Die Rassetaube“ konzentrierte sich die Verbandsarbeit zwei Jahrzehnte lang auf den jährlichen Höhepunkt: Deutsche Rassetaubenschau mit ihren so genannten Highlights. Dort sah sich die Verbandspitze in ihrem Element bestätigt, erfuhr sie den Zuspruch ihrer Mitglieder in einer Weise, wie sie ihn letztlich auch eingefahren hat.
Aus der Erfahrung lernen
Aber jede Medaille hat eine Kehrseite wie auch die Moderne manche Hilfslosigkeit deutlich zu erkennen gibt. Und da erinnere ich mich inhaltlich an die mit dem VDT-Meeting im Zusammenhange stehende Weisheit: „Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft“ (Wilhelm von Humboldt /1767-1835). Dreißig zurückliegende Jahre sind in der Vergangenheit für uns Erdenbürger eine zwar sehr schnell dahin geeilte, dennoch lange Zeit. Für uns, die wir noch dabei sind, ist sie eine friedvolle, ohne Kriegseinwirkung und Notlagen gewesen. Eigentlich eine vergleichsweise zu früher beinahe verführerische Komfortphase auch im Bereich der Freizeitbeschäftigungen mit Gewinnerchancen und Sieggewohnheiten.
Ernst zu nehmende Warnungsprognosen
Und dazu gehört auch die von uns so passioniert betriebene Rassetaubenzucht jetzt mit Folgeerscheinungen – die hier nicht beim Namen genannt werden sollen – in der Einschätzung ihres euphorischen Verlaufes vernachlässigt worden sind, sie mit Wachsamkeit zu begleiten. Eine freizeitliche Beschäftigung mit Lebensgefährten aus der Tierwelt, die uns lieb sind und gerne auch teuer, weil sie uns neben der Freude an und mit ihnen auch zu gewisser Geltung verhelfen, bedürfen der auf Kenntnis ihrer Biologie basierenden Betreuung und fußend auf Regeln, die von der Natur vorgeben sind. Und nicht orientiert an menschlichen Empfindungen oder strikt verordneten veterinärmedizinischen Richtlinien im Zuge des prophylaktischen Erhalts ihrer Vitalität.
Klare Ansage
Um es noch deutlicher zu sagen, fehlt es unseren Rassetauben weder an gutem Futter, noch an gewissem Komfort – sie leiden eher unter Mangelerscheinungen wie Bewegungsfreiheit, Frischluftentzug und unter der Zwangsverpaarung. Ammeneinsatz oder Boxenhaltung vereinbaren sich nicht mit Tierliebe und schon gar nicht mit der Traditionspflege. Getriebenen Eile, die Ausstellungskandidaten von einer Schau zu anderen Schau auf dem Gewinnerpodium sehen zu wollen ist den zugejubelten Lieblingen nicht zuträglich. Ein Dasein in überbesetzten Schlägen und Volieren lässt sie so krank werden wie viele eingekesselte Menschen, die trotz guter Versorgung in engen Wohnverhältnissen unter dem Lagerkoller-Syndrom auffällig werden.
Kein Zweifel, die Gremien des Bundes und des Verbandes wachen über sich ankündigende Fehlbildungen, sie bieten Einhalt, wo sowohl genetische als auch ästhetische Grenzen zu Tage treten – sie haben aber kaum einen Einblick hinter die Kulissen des Zuchtmanagements. Dort geht es nicht um Geheimniskrämerei, eher um experimentelle Methodik, etwas Neues auszuprobieren. Vielleicht auch um Verfahren, die das Jungtieraufziehen sicherheitshalber vereinfachen oder dank zuverlässiger Ammen-Elterntiere sogar garantiert in Aussicht stellen.
Dagegen ist wohl nichts einzuwenden, so lange Leben bei Witterungsunbilden gerettet wird – jedoch beängstigend, wenn manipulierte Anwendungen im Widerspruch zum angestrebten Vitalitätserhalt stehen. Sie werden bei anhaltenden Wiederholungen dann zur Methode, sobald sie im übereiferndem Sog der Erfolgschancen die Basis des Gewohnheitsstandards bilden. Eigentlich auch krass unfair gegenüber Freiflughaltungen in Fällen gewichten, wo die Vermehrung – selbst, auch wenn nur während einer Brutperiode – Paare batteriemäßig in Einzelgehegen für Nachwuchs sorgen.
Dem Ausspruch von Robert Oettel, dem Gründer der deutschen Rassegeflügelzucht: „Züchtet rein und züchtet echt“ war auch Erich Müller zugeneigt, machte er ihn in seiner Gedankenwelt zum Leitmotiv seiner Überlegungen, die Rassetaubenzucht nämlich in gelenkten Bahnen zu wissen.
Günter Stach
Lieber Günther, ich schließe mich den beiden Kommentatoren im Gästebuch des VDT voll an. Da ich damals auch in Unterwössen anwesend war und mich noch gut an diese erste hervorragende Veranstaltung dieser Art im VDT erinnern kann, überrascht es mich, dass du es heute noch geschafft hast, dies alles zu Papier zu bringen. Als passionierter Kropftaubenzüchter lief es mir wie Honig runter, als ich den letzten Abschnitt über die Aufzucht (Ammen usw.) las. Deine Gedanken hierrüber propagiere ich schon Jahrzehnte in meinem SV. Ich denke, in Kassel werde ich dich treffen.
Lieber Günther,
ein toller Artikel. Jedes Wort und jeden Gedanken kann man voll unterstreichen.Ich hoffe bei vielen setzt ein intensives Nachdenken ein und es erfolgt dann auch ein Umsetzen in der Realität. Wie Zuchtfreund Witt geschrieben hat ein Meisterstück!
Freue mich wenn wir uns in Kassel treffen.
Herr Stach, Gratulation! Dieser Bericht ist ein wahrer Paukenschlag und eine Verneigung vor Erich Müller und vieler seiner Gefolgsleute, die bis heute für unser schönes Hobby aktiv sind. Der Text beinhaltet so viel Würze im Ausdruck und Inhalt, so etwas habe ich selten gelesen. Ein Meisterstück! Nehmen wir uns die Zeilen zu Herzen und gestalten wir unsere Zukunft im VDT. Mit vereinten Kräften und unserem neuen Vorstand sollte es uns gelingen, damit wir das Feuer weiter tragen und nicht die Asche….